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Nach dem Hunger kam der Appetit

Nach dem Hunger kam der Appetit: Die Aufbruchsjahre der 1950er Jahre und ihre kulinarischen Blüten

Chianti_Hut_kk

Kohlsuppe und Zwiebackbrei

Für die Kinder der Überflussgesellschaft sind die Entbehrungen der Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1950 schwer nachvollziehbar - sie muten an wie ein Märchen aus fernen Zeiten, das die Großtante mahnend vorbrachte, wenn man seinen Spinat oder die Mehlklöße nicht aufessen wollte. Die ohnehin kritische Ernährungslage verschlimmerte sich 1946 drastisch durch den rauen Zugriff eines der kältesten Winter Mitteleuropas, der amerikanische Getreidehilfslieferungen in den Häfen buchstäblich festfror und die Verteilung der ohnehin knapp vorhandenen Lebensmittel-reserven blockierte. Die Quote der Lebensmittelzuteilung sank auf 700 Kilokalorien pro Tag.

Abgegriffene Rezeptkladden aus den Küchen dieser Zeit belegen eindrucksvoll, wie sehr man sich nach der Decke strecken musste und doch aus ein paar Kartoffeln, einer Handvoll Graupen oder Grieß ein kleines Mahl zauberte, das vorwiegend auf Sättigung zielte. Der knurrende Magen bekam etwas zu tun und wenn auch nach heutigen Vorstellungen der Kulinarik-Faktor ziemlich niedrig war, musste es den damaligen Essern köstlich vorgekommen sein. Der Küchentisch wurde zum Mittelpunkt des Kosmos’, ein behaglicher Ort, an dem sich das Familienleben abspielte.

Nach Hunger, Hamsterfahrten und Kohlenklau ging es im 1950er-Jahrzehnt endlich aufwärts. Die Lebensmittelmarken waren gerade abgeschafft, die spätere Wohlstandsgesellschaft der 1960er Jahre begann sich jetzt zu formieren. Man war wieder wer, man hatte Zugang zu hochwertigeren Nahrungsmitteln, die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse rückte in den Mittelpunkt. Die Menschen begannen wieder geselliger zu werden, sich abends in gemütlicher Runde zusammen zu setzen und das, was man sich wieder leisten konnte, auch nach außen erkennbar zu machen. Noch bestimmte nicht das Fernsehen den Rhythmus des Abends, was der Kommunikation durchaus zuträglich war. Wer über einen Elektroherd oder gar einen Kühlschrank verfügte, galt als gemachter Mann. Statussymbole orientierten sich noch vorwiegend am Kriterium der Nahrungsaufnahme, aber auch ein neues Fernweh erwachte, die Lust nach einer (wenn auch biederen) Exotik, die eine Campingreise in den Harz nicht mehr stillen konnte. Wer konnte, zog über den Brenner an den Gardasee und brachte die ersten Einflüsse der italienischen Küche und eine Bastflasche Chianti mit nachhause.

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Insignien neuer Gastlichkeit

Es gab wieder eine "gute Butter", genügend Protein und eine modische Neuheit, die sich Konserve nannte und den Zugriff auf kalifornische Pfirsiche, grüne Erbsen und rote Bete, Maraschino-Kirschen und zuckersüße Hawaii-Ananas möglich machte. Frische Kräuter oder exotische Gewürze - Fehlanzeige, dafür Eingemachtes, Gepökeltes, Konserviertes. Die Dosen-Küche gerierte sich exotisch und brachte launige Rezepte wie Toast Hawaii, Schnitzel Florida oder Kleine Chinesen hervor. Lud man Gäste zu Tisch, durften weder Käseigel, Appetithäppchen und Gurkenschiffchen, russische Eier und Spargelröllchen oder Kalter Hund fehlen. Mayonaise war der Geschmacksträger Nummer Eins, dicht gefolgt von Tomatenketchup und Worcestersauce, Kondensmilch ein bewährtes Verdickungsmittel.

Fantasievolle Dekos machten oft wett, was die innere Substanz der Speise vermissen ließ (Der beliebte Fliegenpilz war ein hartgekochtes Ei, das quer halbiert und mit einer Tomatenhaube bedeckt wurde, auf die man Mayo-Tupfen setzte). Für diese kleinen Kunstwerke kamen neuartige Küchenhelfer auf den Markt, spezielle Gurken-, Ei-, Tomaten- oder Radieschenschneider zum Beispiel, die Aufgaben übernahmen, für die es heute ein einziges scharf geschliffenes Küchenmesser tut. Robust und langlebig, füllen sie noch heute manche Küchenschublade.

Bowlen hatten ihr Revival, Kalte Ente, Kullerpfirsich, Rumtopf und zuckerschwere Liköre - vom Danziger Goldwasser über Kakao-Kirsch und Eiercognac bis zum Jägermeister - machten Laune. Weine genoß man lieblich mit viel Restsüße, zu später Stunde wurde es mit dem Volkslied sentimental und zu den Caprifischern nicht selten getanzt. Die neue Gemütlichkeit war ausgebrochen.

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Unverzichtbar wenn Gäste kamen:

Toast Hawaii

4 Scheiben (Vollkorn-)Toast von einer Seite rösten, die anderen Seiten mit Butter bestreichen. Mit jeweils 1 Scheibe gekochten Schinken und Ananas belegen, eine Minute angrillen, dann mit einer Schmelzkäse-Haube anbräunen lassen. Die unvermeidliche Cocktailkirsche nicht vergessen.

Ragout fin

Inhalt von einer Dose Ragout fin in eingefettete Schälchen (Muschelform bevorzugt!) geben, Reibkäse mit Semmelbröseln mischen und darüber streuen, im auf 200 Grad vorgeheizten Grill oder Backrohr anbräunen, mit Zitrone und Worcestersauce servieren.

Hühnersalat Mandarin

Brathähnchen mit Suppengrün, Lorbeer und Pfefferkörnern im Suppentopf kochen, bis sich das Fleisch löst, abkühlen lassen, enthäuten und in Streifen schneiden. Gewürzgurken, Zwiebeln, einen säuerlichen Apfel und harte Eier klein würfeln, mit dem Fleisch mischen, salzen, pfeffern, mit Muskat und Zitrone würzen. 1 Becher Sahne mit 1/2 L Hühnerfond mischen, darübergeben, Inhalt einer Dose Mandarinen unterheben, alles einen Tag kühl ziehen lassen.

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Clemens Wilmenrod - Der Münchhausen am Küchenherd

Waren es kulinarische Verirrungen oder exotische Leckerbissen? - Auch der Toast Hawaii geht auf sein Konto. Sein Verdienst war es, 1953 die Showküche im gerade erst geborenen deutschen Fernsehen zu etablieren, beinahe zufällig. Der erste deutsche Fernsehkoch, der eigentlich Schauspieler war, war auch der erste, der Schleichwerbung und Merchandising (am Beispiel des Schnellbräters Heinzelkoch!) bravourös handhabte, bis es den Fernsehschaffenden am Ende doch zuviel wurde und Clemens Wilmenrod nach 11 erfolgreichen Jahren 1964 abgesetzt wurde. Aber vorher hatte er in über 185 Kochsendungen vollmundige Tipps für den "eiligen Feinschmecker" gegeben (nicht ohne massive Assistenz seiner Frau Erika, die Pappen mit Regieanweisungen hochhielt) und sich in die Herzen der deutschen Hausfrauen gekocht. Ein Gentleman-Koch, ein Charmeur soll er gewesen sein, dem die Damen Topflappen häkelten und glühende Briefe schrieben.

Er setzte Zeichen mit einer Küche, die sich auf eine äußerste Schlichtheit reduzierte, aber mit einer bombastischen Namensgebung in den Koch-Olymp schwindelte. Sein "Arabisches Reiterfleisch" war nichts anderes als eine Bulette mit einem Hauch Paprika, sein "Venezianischer Weihnachtsschmaus" ein paniertes Schnitzel in einer Madeira-Sauce, und die "Spaghetti nach der Schwarzen Carola" ein einfaches Pastagericht, das er aus Italien mitbrachte und 1:1 nachkochte. Hoch anzurechnen ist ihm, dass er Olivenöl, Knoblauch, Paprikaschote, Pizza und Oregano in die deutschen Haushalte einführte. Während er hantierte, schwadronierte er von Reisen in ferne Länder, die er nie unternommen hatte, verband Showkochen mit der hohen Kunst des Entertainments und erreichte dabei Traumquoten. Bereitete er Kabeljau zu, war dieser am nächsten Tag von den Fischtheken verschwunden - ausverkauft!

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Dabei setzte sich "Don Clemente" schon mal unbekümmert über die realen Verhältnisse im Lande hinweg. Im Falle seines "Bretonischen Heringssalats", den er als Einstieg in einen "Skatabend" empfahl, behauptete er allen Ernstes, dass die zu dieser Zeit einigermaßen exotischen Ingredienzien in jedem Laden um die Ecke "für ein paar Groschen" zu bekommen seien, was viele nacheifernde Hausfrauen in verzweifelte und größtenteils fruchtlose Anstrengungen treiben musste. - Heute sieht das natürlich anders aus:

Heringssalat bretonisch

Salzheringe vom Händler filettieren lassen, über Nacht in Wasser einlegen, abgießen. Einen Sud aus Wasser, Zucker, Muskat, Majoran, Thymian, Zwiebel, Zitronenschale, Lorbeer, Piment-, Senf-, Koriander- und Pfefferkörnern, Wacholderbeeren, Nelken und Ingwerpulver erhitzen, abkühlen lassen, die Heringe darin zwei Tage kühl und abgedeckt ziehen lassen. In einer Schüssel Tomatenketchup mit süßer Sahne mischen, in Streifen geschnittene Heringe hineingeben. 2 gekochte Eier, 1 Apfel, 1 Banane, 2 Tomaten, 1 Zwiebeln (alles gestückelt) unterheben und genießen. (Orginal-Videoclip unter www.ndr.de/media/wilmenrodoriginal100.html)

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Ein Festmahl der späten 1950er Jahre war eine gediegene Völlerei

Familienfeiern nahm man hochbeglückt zum Anlaß zu einem fröhlichen Schmausen, dem eine monatelange Vorbereitung vorausgehen konnte und für die nicht selten ein ganzes Schwein sein Leben aushauchte oder ein halbes Kalb beim Metzger bestellt wurde. Fleisch dominierte die Menüabfolge.

Klare Rindfleischbrühe mit Markklößchen
(damals war man noch bar von BSE-Erfahrungen!)

Rindfleischsuppe aus Beinscheiben, Markknochen, Suppengemüse, Salz, Gewürzsäckchen aus Lorbeer, Piment, Pfeffer herstellen, abschäumen, durch ein feines Sieb gießen. Für die Klößchen das Innere der Markknochen in einem Pfännchen zerfließen lassen, mit 200g Semmelmehl, einem Ei, Muskatnuss und Salz vermengen zu einer gut formbaren Masse. Mit zwei Kaffeelöffeln Klößchen ausstechen, in die siedende Brühe eingeben und an die Oberfläche steigen lassen. Über die Suppe Petersilie streuen. Rindfleisch ggfs. getrennt dazu servieren oder kalt aufschneiden.

Ochsenzunge

Frische (alternative: gepökelte, aber heute nicht mehr zu empfehlen - Nitratbelastung!) Rinder- oder Ochsenzunge mindestens 1,5 h mit gewürfeltem Suppengemüse kochen. Noch heiß enthäuten, abkühlen lassen. Kalt in Scheiben schneiden. Aus feinen zerlas-senen Speckwürfeln und Mehl eine helle Schwitze bereiten, Rinderbrühe hineingeben, kurz aufkochen, pürieren zu einer sämigen Konsistenz. Tomatenmark, einen guten Spritzer Koch-Madeira und/oder Medium-Sherry, etwas Zucker und 50 g Butter einrühren und abschmecken. Rinderzunge darin schwenken.

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Rollbraten mit Mischgemüse

Schweine- und/oder Kalbsrollbraten mit Senf einreiben, pfeffern, salzen. In erhitztem Butterschmalz im Bräter kräftig anbraten. Geputztes und gewürfeltes Suppengemüse mitschmoren. Bratenfond mit Brühe ablöschen. Hitze zurückschalten, weiter schmoren lassen (1-1,5 h). Sauce passieren, mit einer Schwitze aus Mehl und Fett (heute Stärkemehl!) andicken, aufkochen, mit einem guten Schuss Bier (Schwein) oder Weißwein (Kalb) abschmecken, nachwürzen. Dazu gab’s Kartoffelklöße und die gerade aufkommenden Kroketten.

Eiscreme "Fürst Pückler" (Halbgefrorenes)

6 Eigelbe, 1/2 Pfund Zucker, 4 cl Wasser schaumig rühren. 900 g sehr steife Sahne unterheben, Masse in drei Teilen in Schüsseln füllen. In die erste gibt man 100 g aufgelöste Bitterschokolade, in die zweite pürierte Himbeeren oder Erdbeeren, in die dritte ein Päckchen Vanillezucker (heute würde man frisches Vanillemark bevorzugen). Alle drei Mischungen vorsichtig übereinander in eine mit Butterbrotpapier ausgelegte Kastenform schichten und für 4 Stunden in den Gefrierschrank geben (damals war es winters meist der eiskalte Balkon). In Scheiben mit Schlagsahne, Waffeln, Maraschino-Kirschen und Strohschirmchen dekoriert servieren.

Und spätestens jetzt war wohl ein Weinbrand oder ein Escorial Grün fällig! Wohl bekomm’s euch, "Ihr lieben, goldigen Menschen"! (Wilmenrods Anrede an seine Zuschauer).

Und schauen Sie wieder mal rein, wenn wir die 60er Jahre Revue passieren lassen.

Text: S. J. Gruner

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